Tag 17: Xiu Guiqing hat einen neuen Job
Gestern Abend fiel erstmals der Begriff Kofferpacken. Einerseits ist das etwas zu früh. Die Spiele enden ja erst am kommenden Mittwoch mit der Abschlusszeremonie. Andererseits sind rechtzeitige Gedanken zu Transport-Fragen gerechtfertigt. So mancher hat auf der Rückreise viel mehr mitzunehmen als er beim Flug nach Peking dabei hatte. Kirsten Bruhn zum Beispiel. Wie sie mit den fünf Medaillen, die sie im Wasserwürfel eingesammelt hat, wohl die Gewichtsfrage beim Handgepäck klärt? Jede einzelne dieser Medaillen ist nämlich ganz schön schwer. Einige durften wir hier in der Otto Bock Werkstatt kurzzeitig in den Händen halten. Natalie Simanowski wird neben ihrem zweifachen Silber ihre beiden Rennräder wieder fluggerecht verstauen.Was bleibt eigentlich von den Paralympics in Peking zurück? Zum Beispiel: behindertengerechte Taxis. Xiu Guiqing fährt eines davon. Sie erinnern im Aussehen nicht zufällig an britisches Taxi-Design und wurden in einer ostchinesischen Taxi-Fabrik für Behinderten-Transporte umgebaut. Diese Fahrzeuge der Marke Austin bereichern das Verkehrsgeschehen in Peking. Nicht nur, weil nunmehr auch Rollstuhlfahrer bequem im Taxi unterwegs sein können. Obendrein sind dies die einzigen Taxis, die man hier per Telefon bestellen kann. Der Fahrpreis ist identisch mit dem anderer Taxis. Während der Paralympics wird die Anfahrt nicht berechnet, sagt Xiu Guiqing.
Er hat einen Monat lang eine Zusatzausbildung darüber erhalten, was beim Transport von Menschen mit Behinderung zu beachten ist. Zusätzlich gab es einen Sprachkurs in Englisch. Seit einem Monat fährt er nun das Taxi im Auftrag einer staatlichen Taxi-Gesellschaft. "Ein bis drei Fahrten pro Tag mache ich mit Rollstuhlfahrern", sagt er und macht damit klar, dass sich dieses Angebot erst noch herumsprechen und durchsetzen muss. Die Zahl von Menschen mit Behinderung wird in Peking auf rund eine Million geschätzt. Allerdings werden dabei nur relativ schwere Behinderungen gezählt. Andernfalls wäre die Zahl noch deutlich höher, bei einer Bevölkerung von 16 Millionen Menschen in dieser drittgrößten Stadt Chinas. 30 dieser englischen Taxis gebe es in Peking, erklärt der Fahrer. Darüber hinaus sind zehn Kastenwagen für den Behinderten-Transport ausgestattet worden sowie 50 bis 60 VW Santana aus der 3000er-Reihe.
Was noch in Peking bleiben wird, ist der größte Teil der Ausstattung der Otto Bock Werkstatt. Das Organisationskomitee BOCOG wird sich darum kümmern, dass die Maschinen und Werkzeuge dorthin gelangen, wo sie am nützlichsten eingesetzt werden können. Über einen weiteren Technologie-Transfer hoffe ich morgen etwas Konkretes schreiben zu können. Unsere Techniker an der Rennstrecke haben berichtet, dass die Handbiker aus den USA den einzigen Starter aus Burkina Faso in Zentralafrika unterstützen wollen. Für diese Paralympics-Geschichte zeichnet sich ab, dass unsere Werkstatt wieder zu einer Drehscheibe für nachhaltige multikulturelle Kontakte wird. Und auch die gehören zu dem, was von diesen Paralympics bleiben wird. Die Behindertenbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Karin Evers-Meyer, hat bei ihrem Besuch vor etwa einer Stunde Werkstatt-Atmosphäre geschnuppert. Bevor sie sich auf dem Unterschriften-Board verewigte, hat sie etwas gesagt, dem wir hier natürlich nur uneingeschränkt zustimmen können: "Wenn es so etwas nicht gäbe, müsste es erfunden werden."
P.S.: Für das Gespräch mit Xiu Guiqing herzlichen Dank an Johnny Ehrling!
VON: RÜDIGER HERZOG | | 10:41 | | Keine Kommentare | Kommentar schreiben |